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in optimistisches Denken kann Bäume versetzen. Hoffnung kann uns helfen, durchzuhalten. Dankbarkeit macht uns selbst und andere glücklich. Ein Lächeln kann Herzen erwärmen und Konflikten vorbeugen. Ein Zuviel des Glücks ist jedoch kontraproduktiv. Es ist der Nährboden für Enttäuschungen und Kränkungen. Daraus hat sich in der angelsächsischen Psychologie die Begrifflichkeit der „Toxic Positivity“ entwickelt. So kann es für dich schädlich sein, übertrieben positiv zu denken.

Negatives braucht Raum

Vor allem Schlechten die Augen zu schließen oder es sogar schönzureden, bringt nichts. Davon geht es nicht weg – nicht einmal mental. Unser Gehirn können wir nur bedingt austricksen. Stresst uns etwas, lässt sich dies nicht nur durch reines positives Denken abschalten. Hierzu ein Beispiel aus der Forschung:

Wissenschaftler zeigten zwei Testgruppen Videos von blutigen, medizinischen Eingriffen, die auf die meisten Menschen verstörend wirken. Eine Testgruppe durfte nach den Videos ihre authentischen Reaktionen zeigen. Die andere Testgruppe durfte diese nicht zum Ausdruck bringen.

Das Ergebnis: Die Probanden, die ihre wahren Reaktionen verbergen mussten, zeigten im Körper höhere Stressreaktionen. Bei ihnen waren Pupillenbewegung, Pulsfrequenz und Schweißproduktion höher als bei den Probanden, die ihren negativen Emotionen freien Lauf ließen. Daraus lässt sich der Schluss ziehen: Negatives braucht Raum. Nur so zu tun, alles wäre alles okay, kann letztlich mehr Stress auslösen und sogar krank machen.

Bestimmt kennst du dies sogar von dir selbst. Stößt du aus Versehen mit dem kleinen Zeh gegen die Bettkante, kann es guttun, laut zu schreien. Sogar der deutsche Wortschatz kennt mit „dem Ärger Luft machen“ eine Redewendung, die auf dieses Prinzip hindeutet.

Übertriebener Optimismus kann einsam machen

Wer immer alles positiv sieht und nichts Negatives in seinem Leben erkennt, wirkt auf andere schnell unglaubwürdig. Nichts ist nur positiv. Alles hat zwei Seiten. Doch es gibt diese Menschen, die lächelnd verkünden, auch in den größten Tragödien noch ein Glück zu sehen. Grundlegend wäre dagegen nichts einzuwenden, wenn diese Person auch zugeben würde, dass die Tragödie sie verletzt hat. Tut sie dies nicht, wirkt sie unrealistisch und wenig vertrauenswürdig. Wir fühlen uns belogen. Die Konsequenz daraus kann sein, dass sich andere von diesem notorischen Optimisten abwenden. Er ist im engen Freundeskreis ebenso unerwünscht, wie der notorische Pessimist, der nirgendwo das Schöne sehen kann.

Sich einmal gemeinsam mit jemandem über das Schlechte in der Welt aufzuregen oder jemandem sein Leid zu klagen, schafft Verbundenheit und Erleichterung. Es zeigt Verletzlichkeit und damit Menschlichkeit.

Gleichzeitig wird so das Übel der Gegenwart ein wenig erträglicher.

7 typische Aussagen für toxische Positivität

Zwischen einem notorisch positiven und notorisch negativen Menschen gibt es eine weitläufige Grauzone. Je nach Tagesform, Situation und Angelegenheit tendieren wir einmal mehr zum positiven und einmal mehr zum negativen Pol. Das ist gut so, solange wir uns im Großen und Ganzen irgendwo im mittleren Bereich einpendeln.

Hier stellt sich die Frage, woran sich ein toxisches positives Denken und Reden erkennen lässt. Dazu ein paar Beispielsätze, die für ein Zuviel an Positivität typisch sind:

  1. „Es könnte dich noch schlimmer treffen.“

Dein Freund hat dich verlassen, dein Chef hat dir gekündigt. Jetzt diesen Satz zu hören, ist wenig tröstend. Natürlich könnte es noch schlimmer sein. Dein Hausarzt könnte noch Bauspeicheldrüsenkrebs diagnostizieren und alle deine Verwandten könnten bei einem Flugzeugabsturz sterben. Stopp! Ja, es könnte schlimmer sein, aber negiere deswegen nicht deine aktuellen negativen Emotionen. Verarbeite sie stattdessen.

  1. „Hör auf, darüber nachzudenken. Denk positiv.“

Wie ein ewiger Pessimist und Bedenkenträger nur vom Negativen auszugehen, ist natürlich nicht hilfreich. Genau ins Gegenteil zu verfallen, ist ebenso kontraproduktiv. Es kann helfen, Negativszenarien im Kopf durchzuspielen und sich somit auf den Fall der Fälle vorzubereiten oder die Anspannung davon wegzunehmen.

  1. „Das war Schicksal mit einem höheren Grund.“

Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als wir erahnen mögen, aber immer einen höheren Grund hinter allem zu vermuten, kann belastend sein. Im schlimmsten Fall führt dies zur Selbstaufgabe. Ja, es gibt Dinge, die wir nicht ändern können. Wir verstehen nicht einmal, warum sie passieren. Das ist frustrierend, aber das müssen wir letztlich aushalten.

  1. „Gib niemals auf.“

Aufzugeben kann smart sein. Wer beispielsweise in einer Ehe mit einem toxischen Partner steckt, muss nicht auf Teufel komm raus durchhalten. Auch lassen sich nicht alle Lebensträume verwirklichen, obgleich uns dies oft vorgegaukelt wird. Wer 70 kg schwer ist, wird kein erfolgreicher Jockey.

  1. „Scheitern gibt es nicht.“

Es ist gut und wichtig, sich anzustrengen. Doch manchmal passieren Fehler oder wir scheitern in etwas. Es ist wichtig, das anzuerkennen und daraus zu lernen. Es fällt zwar nicht leicht, Enttäuschung und Verunsicherung auszuhalten, aber sie gehören zum Leben dazu.

  1. „Du kannst alles schaffen, wenn du nur positiv denkst“

Positives Denken kann helfen, aber ist nie ein Garant für ein Gelingen. Dieses hängt von so vielen Faktoren ab, die wir teilweise nicht selbst beeinflussen können. Wer glaubt, er könne alles mit dem richtigen Mindset erreichen, wird früher oder später enttäuscht. Besser ist es, Realist zu sein und alles für einen positiven Ausgang zu tun, sich aber auf ein negatives Resultat vorzubereiten.

  1. „Sei einfach glücklich, du hast doch alles“

Es ist dem Menschen nicht möglich, 24/7 glücklich zu sein. Das ist gut so, denn so würden wir das Glück gar nicht erkennen.

Seelische Schmerzen – von der Unzufriedenheit bis hin zur Traurigkeit – sind sogar produktiv, solange sie uns nicht lähmen. Weshalb? Weil sie uns antreiben.

Negative Gefühle machen uns auf einen Änderungsbedarf aufmerksam. Das ist wichtig. Gäbe es sie nicht, hätte sich die Menschheit nie weiterentwickelt. Ob dies letztlich für die Welt besser gewesen wäre, ist ein anderes Thema.

Es ist aber zutiefst menschlich, hin und wieder nicht glücklich zu sein. Die Melancholie war und ist übrigens die Triebfeder für einige der größten künstlerischen Werke der Welt. Trotzdem bleibt dahingestellt, ob es nicht ebenso viele, wenn nicht sogar mehr Inspirationen gab, die aufgrund überschäumender Begeisterung und Lebenskraft entstanden sind.

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Photo by Vinicius "amnx" Amano on Unsplash

Publiziert am 
Aug 4, 2022
 in Katgorie
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